Emil Müller (1844 – 1910)

Gründer und Unternehmer in der deutschen Dynamitindustrie

In namhaften Büchern und Zeitschriften wird Emil Müller als tüchtiger Chemiker, tatkräftiger Industriegründer und umsichtiger Leiter großer Gesellschaften geschildert. Er steht mit den Bahnbrechern der chemischen Industrie im Rheinland – Vorster, Grüneberg, Scheibler, Lindgens, Heidemann, Clouth u. a. – in einer Reihe.

Trotz der zahlreichen ehrenvollen Erwähnungen ist es nicht leicht, ein halbwegs abgerundetes Lebensbild Emil Müllers zu zeichnen, da die Quellen leider nur spärlich fließen. Emil Müllers Vorfahren stammten ausnahmslos aus dem Wuppertal. Sein Großvater väterlicherseits war Kaufmann in Elberfeld, dessen Frau entstammte der bekannten Elberfelder Familie von der Heydt.

Die Eltern seiner Mutter waren Kaufleute in Barmen. Auch sein Vater, Gottlieb Daniel Müller, wurde in Elberfeld geboren, und zwar am 3. März 1811. Er studierte evangelische Theologie an den Universitäten Berlin und Bonn und übernahm im Februar 1842 seine erste Pfarrstelle in Thalfang, Kreis Bernkastel. Am 3. Mai 1842 heiratete er die am 9. Mai 1812 in Elberfeld geborene Wilhelmine Emilie Korten. Aus dieser Ehe gingen insgesamt sechs Kinder hervor; das zweite war Daniel Emil.

Emil Müller erblickte am 10. März 1844 in Thalfang das Licht der Welt und empfing am 8. April dort auch die Taufe. Noch im gleichen Jahr zog die ganze Familie in das bergische Städtchen Radevormwald, wo Vater Müller schon im Januar 1 844 Pfarrer der reformierten-evangelischen Gemeinde geworden war. Dort, wieder im Lande seiner Väter, verlebte Emil seine Kinder- und Jugendjahre. Sein Konfirmationstag ist der 17. April 1859.

Für die folgenden dreizehn Jahre, in denen er zum Mann heranreifte und seine Berufsausbildung erhielt, fehlen die Unterlagen.

In Emil Müllers arbeitsreichem Leben lassen sich im ganzen drei charakteristische Kreise erkennen: die Gründung und die ersten Jahre der Rheinischen Dynamitfabrik AG Opladen, die Gründung und der Aufbau der Rheinisch- Westfälischen Sprengstoff AG Köln und die Jahre der großen Zusammenschlüsse in der deutschen Sprengstoffindustrie.

Als die Milliarden aus Frankreich das deutsche Wirtschaftsleben in eine Hochschwungstimmung versetzten und die Gründung von Aktiengesellschaften durch Aufhebung der Genehmigungspflicht erleichtert worden war, gründete das Kölner Bankhaus J. L. Eltzbacher & Co. in Verbindung mit dem A. Schaaffhausenschen Bankverein und der Rheinischen Effektenbank Köln die Rheinische Dynamitfabrik AG mit dem Sitz in Opladen; Fabriken befanden sich in Opladen, Mansfeld am Harz und Oneglia (Oberitalien). Die Filiale in Oneglia erscheint nach 1880 nicht mehr in den Akten. Dagegen wird um 1882 eine Filiale in Bommern (Westfalen) genannt, die aber auch nur vorübergehend zu dieser Firma gehörte. Das Aktienkapital belief sich anfangs auf 400000 Thaler; es wurde später auf     1 200 000 Mark erhöht.

Mitgründer waren der ehemalige Pionieroffizier und Sprengstofftechniker Max von Förster, der aber bald wieder ausschied und der Chemiker Emil Müller. Emil Müller war die Seele des Unternehmens. Seit der Erteilung der Konzession am 14. August 1872 bis zu seinem Ausscheiden leitete er als kaufmännischer und technischer Direktor das Opladener Werk und als Generaldirektor die Gesellschaft mit der Umsicht und dem Weitblick eines fähigen industriellen Gründers und Gestalters. Ein Mann seines Schlages war in dieser Stellung gerade gut genug; denn die Schwierigkeiten in diesem neuen, erfahrungsarmen Industriezweig waren erheblich, ganz zu schweigen von den Auswirkungen der tiefgehenden Wirtschaftskrise (seit 1873), die den Gründerjahren folgte.

Die Rheinische Dynamitfabrik AG entwickelte sich in Jahren wirtschaftlichen Abschwungs aufwärts, ein Beweis dafür, dass sie nicht im blinden »Gründungsfieber« entstanden war, sondern einen natürlichen Bedarf deckte.

Sobald den Opladenern das Projekt Dynamitfabrik bekannt wurde, setzten sie alle Hebel in Bewegung, um die Errichtung eines derartigen Unternehmens zu verhindern. In ihren Bemühungen um die industrielle Erschließung des Stadtgebietes fürchteten sie, dass »die zu gewerblichen Anlagen sich vorzüglich eignende Bürriger Heide durch die projektierte Anlage wird entwertet werden, weil andere Industrielle sich durch eine so gefährliche Nachbarschaft werden abhalten lassen, sich dort niederzulassen«. Außerdem hatten die Bewohner des Landes an der unteren Wupper die schwere Explosion im Kunstfeld oder Hornpott zwischen Schlebusch und Dünnwald noch nicht vergessen, durch die am 25. Januar 1870 die dortige Dynamitfabrik – die erste im Rheinland – völlig zerstört und sechzehn Arbeiter getötet worden waren.

Die Protokolle der Opladener Stadtvertreterversammlung vom Oktober 1871, März 1872 und Juni 1872 spiegeln deutlich die ehrliche Sorge um das Wohl der Stadt wider. Es kam zu mehreren sorgfältig begründeten Protesten bei der Königlichen Regierung in Düsseldorf, in denen auf die Nähe der sehr belebten Verkehrswege und auf die Tatsache, dass »die Gemeinde Opladen bei einer allenfallsigen Explosion der Ansicht der Versammlung zufolge nicht gegen mögliche Luft- oder Erderschütterungen gesichert war«, hingewiesen wurde. Die Eingaben hatten Erfolg. Am 4. Juni 1872 erfuhren die Stadtverordneten, dass »die fragliche Konzession versagt worden ist«.

Aber auch die Fabrikherren blieben nicht untätig. Auf keinen Fall wollten sie das vorzügliche Fabrikgelände aufgeben. Es gelang ihnen, den Behörden ihre Pläne so überzeugend vorzutragen, dass das Königliche Handelsministerium die »erhobenen Bedenken für beseitigt erklärte« und am 14. August 1872 die Konzession – gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung – erteilte.

Den Opladenern blieb seitdem nichts anderes übrig, als mit immer neuen Argumenten gegen die Herstellung von Dynamit in unmittelbarer Nähe der Stadt zu protestieren. Aber sie hatten fortan keinen Erfolg mehr. Die Entwicklung des Werkes nahm unaufhaltsam ihren Lauf und sah Explosionen, Proteste, Betriebsverbesserungen, Produktionserweiterungen und Gewinne.

Seit der Erfindung des Dynamits durch Alfred Nobel 1866/67 waren immer nur kleinere Mengen dieses hochexplosiven Sprengstoffes hergestellt worden. Es fehlte den Chemikern und Unternehmern also jede Erfahrung in der Massenproduktion von Dynamit. Selbst die älteste Dynamitfabrik der Welt, das von Nobel gegründete und geleitete Werk Krümmel an der unteren Elbe arbeitete erst seit April 1866 und erlebte 1870 eine schwere Explosion. Im gleichen Jahr explodierte eine Dynamitfabrik bei Berlin und die bereits genannte bei Köln-Dünnwald. Allen Fabriken voraus war bereits 1864 Nobels Versuchsanlage bei Stockholm in die Luft geflogen. Es lag also in der Natur der Sache, dass sich in Emil Müllers Fabrik ebenfalls zahlreiche leichte und schwere Explosionen ereigneten, bei denen in der Regel eine erhebliche Anzahl von Arbeitern getötet wurde und großer Schaden im Betrieb und in den angrenzenden Siedlungen entstand. Die Jahre, in denen Emil Müller die Werksgeschicke leitete, könnte man als die Zeit der schweren Explosionen bezeichnen.

Am 17. Februar 1874«, so schrieb Emil Müller, »explodierten in der hiesigen Fabrik ca. 5-7 Zentner Dynamit, resp. eine entsprechende Menge Nitroglyzerin, alle beteiligten Arbeiter seien getötet worden; der Schaden an Werksanlagen und umliegenden Siedlungen sei beträchtlich. Sofort richteten die Opladener Stadtverordneten die dringende Bitte nach Düsseldorf, »den Wiederaufbau der zerstörten Werke der Fabrik überhaupt hochgeneigtest untersagen zu wollen«. Die Beschwerde fand kein Gehör da Emil Müller schnellstens in einem Erfahrungsbericht die möglichen Ursachen des Unglücks darzustellen versuchte und der Regierung wohlfundierte Verbesserungsvorschläge vorlegte.

Die Pläne sahen eine Aufteilung der großen Sprengstofflager in viele kleine Lager vor. Müller erläuterte den Plan und nannte eine Explosion von 5 – 7 Zentnern Dynamit als für die Umgebung vollständig gefahrlos . . . Da schon außer in den Nitroglyzerin- und Dynamitlagern in allen Räumen unserer Fabrik stets nur weit geringere Mengen Dynamit vorhanden sind, so würde sich nach Ausführung der projektierten Veränderung niemals eine größere Quantität als 5 bis 7 Zentner in irgendeinem Raume befinden und somit die Explosion einer größeren Menge absolut unmöglich sein«. Solange die Werksleitung in dieser Weise mit größter Sorgfalt arbeitete und nach jedem Unglück mit einleuchtenden Vorschlägen aufwartete, konnte die Behörde ihre Zustimmung zu einem verbesserten Wiederaufbau der zerstörten Werkanlagen nicht versagen.

Aus den gleichen Überlegungen entwickelte Emil Müller um 1875 eine neue »Stopfmaschine zum Füllen der Dynamitpatronen«. Die alte Maschine hatte eine Explosion verursacht dadurch, dass Dynamit in die beweglichen Teile der Maschine gelangt war. Die Fehlerquelle wurde in der Neukonstruktion beseitigt. »Aus der Anordnung der Maschine ergibt sich«, so schrieb Emil Müller mit eigener Hand, »dass niemals Dynamit zwischen andere bewegliche Teile als den hölzernen Ansatz des Stempels und die Messinghülse fallen kann.« – Weitere Sicherheitsmaßnahmen traf die Werksleitung im Nitroglyzerinlager, das ebenfalls in kleine und kleinste Einheiten aufgeteilt wurde. »Der Vorrat an Nitroglyzerin befindet sich noch in einer Hütte mit den Ölvorräten zusammen. Es sind schon einige isolierte Hütten fertiggestellt, so dass dieser gefährliche Vorrat ebenfalls in kleineren Quantitäten aufbewahrt werden wird . . .« Ferner wurden in allen Patronenhäusern Schilder mit Verhaltungsvorschriften für Arbeiter angebracht.

So gelang es Emil Müller im Laufe der Jahre mit Zähigkeit und wachsenden Erfahrungen wesentliche Explosionsherde auszuschalten. Aber immer wieder gab es aus bisher unbekannten Ursachen neue Unfälle. Bis Ende 1877 ereigneten sich drei weitere schwere Explosionen mit erheblichen Menschenverlusten und großem Sachschaden. Wieder reichten die Opladener Beschwerden ein; mit neuen Argumenten versuchten sie – jetzt in einem Schreiben an den Handelsminister persönlich – der »dauernden immanenten Gefahr« ein Ende zu machen. Die Tatsache, dass Hunderte von Zentnern hätten in die Luft fliegen können, »hat die hiesige Bevölkerung in einer entsetzlichen Aufregung gehalten, denn eine Explosion von diesem Umfange wäre außer Zweifel der Untergang unseres Ortes gewesen«.

Den Schaden hätte die Firma überhaupt nicht zu ersetzen vermocht. »Sollte den Fabrikbesitzern die Konzession nicht entzogen werden können, so beantragen wir ebenmäßig, die Anlage auf Staatskosten zu expropriieren und die Verlegung in eine weniger dicht bevölkerte Gegend und in eine weniger gefahrvolle Nähe von Ortschaften zu veranlassen.« Aber auch dieser Protest schlug fehl, da laut Gewerbeordnung im Falle einer Fabrikverlegung der Antragsteller sämtliche Kosten tragen musste, so lange der Werksleitung keine Nachlässigkeit in der Ausführung der Konzessionsbestimmungen nachzuweisen waren. Da Vorwürfe dieser Art nicht erhoben werden konnten, lautete die nüchterne Antwort: »Im vorliegenden Falle würde Opladen fast ausschließlich die Entschädigung zu leisten haben. Sie dürfte einige Millionen Mark betragen.«

In klugem Gegenzug hatte Emil Müller von sich aus wieder einen Antrag auf weitere Aufgliederung der Fabrikanlagen gestellt, um noch mehr für die Sicherheit der Arbeiter und Anwohner tun zu können. An Stelle des einen großen – jetzt zerstörten – Nitrierhauses mit vier Nitrierapparaten traten drei Häuser mit je einem Apparat. »Hierdurch wird die größte Fabrikationsfähigkeit der Fabrik um ein Viertel verringert« und etwaige Explosionen in einem Höchstmaß lokalisiert. So konnte die zuständige Behörde wieder nicht umhin festzustellen, »dass es unzulässig ist, den Wiederaufbau der Fabrik zu untersagen, weshalb Königliche Regierung denselben mit einigen wesentlichen Verbesserungen haben gestatten müssen«.

Dies schrieb der Landrat von Solingen im September 1877 an den Bürgermeister von Opladen. Selbst nach der schweren Explosion im August 1878 (die Werksleitung schrieb dazu: »Infolge der Explosion liegen wir nun schon länger als sechs Wochen still; die meisten unserer Arbeiter sind entweder ganz brotlos oder doch in ihrem gewohnten Verdienst geschmälert, und uns selbst erwächst aus der Nichtfabrikation schwerer Verlust . . .«) fand nicht einmal das Handelsministerium in Berlin eine Handhabe für eine »Beseitigung« der Fabrik, da »auf Grund der bisherigen Erfahrungen die den Schutz der Nachbarschaft bezweckenden Sicherheitseinrichtungen, namentlich auch bezüglich der Dynamitlager in zweckmäßiger Weise verstärkt worden sind«. An eine Stilllegung des Werkes war überhaupt nicht mehr zu denken. Durch alle Hindernisse und Opfer hindurch gestaltete Emil Müller einen behutsamen, beharrlichen Ausbau der Fabrik.

Im März 1876 gab Emil Müller die Ernennung Hermann Siebecks zum ersten Prokuristen der Firma seit ihrer Gründung bekannt. Die Fabrik zählte in diesem Jahr 70-80 Arbeiter und »Beamte«; in den folgenden Jahren stieg die Zahl ein wenig an und hielt sich dann beständig auf etwa 100. Alle Arbeiter waren vom Werk aus in Kranken-, Haftpflicht- und Unfallversicherungen; später kamen hinzu eine Pensionskasse für Meister und Arbeiter und eine lediglich von der Firma dotierte Arbeiterunterstützungskasse. Speisesaal und Badeeinrichtungen standen allen Werksangehörigen zur Verfügung. Bei Unfällen zeigte sich die Firma großzügig. »Nach allem, was man gehört, ist die Verwaltung der Rheinischen Dynamitfabrik bei der Entschädigung der Hinterbliebenen der Verunglückten kulant verfahren, wenn man berücksichtigt, dass der Verwaltung keine Verschuldung an dem Unglück hat nachgewiesen werden können«, auch seien keine Beschwerden laut geworden.

Zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit wurden eine »Anlage zur Wiedergewinnung von Schwefelsäure und Salpetersäure aus der Abfallsäure« und eine dem Werk angeschlossene »Düngerfabrik« errichtet, die jedoch keine große Bedeutung gewann.

Das Opladener Werk stellte täglich 25 bis 35 Zentner Dynamit her und verarbeitete täglich etwa 60 Zentner Schwefelsäure und 35 bis 40 Zentner Salpetersäure.

Am 1. April 1878 teilte der Vorsitzende des Aufsichtsrates, E. Bennert, durch Rundschreiben ohne Angabe von Gründen mit, ». . . dass unser Direktor Emil Müller aus seiner bisherigen Stellung geschieden ist. An seiner Stelle bilden fortan die Herren Carl Göpner, Chemiker, und Hermann Dernen, Kaufmann, den Vorstand unserer Gesellschaft . . .«. Damit war der Wegbereiter der Opladener Dynamitfabrik ausgeschieden. Das Werk nahm jetzt in den von ihm gezeichneten Bahnen unter neuer Führung seinen erfolgreichen Weg weiter.

Emil Müller war um diese Zeit in Fachkreisen ein bekannter Mann. Er galt als der Entwickler des sogenannten Wetterdynamits, das im Gegensatz zu anderen Sprengmitteln schlagende Wetter in Bergwerken nicht zündete und die Unsicherheit der ohnehin schon sehr gefährdeten Bergarbeiter beträchtlich verminderte. Sein Verdienst war es auch, am Siegeszug des Dynamits mitgewirkt zu haben, insofern als »mit der Gründung der Rheinischen Dynamitfabrik zu Opladen seine Fabrikation im Großen angebahnt wurde«. Schon während der ersten Jahre seiner Tätigkeit in Opladen bat ihn ein Bauinspektor namens Haege aus Siegen darum, die Konzessionsakten der Firma einsehen und nach Opladener Vorbild im Siegerland eine Dynamitfabrik errichten zu dürfen. Emil Müller entsprach dieser Bitte und wurde so zum Mitgestalter der Siegener Dynamitfabriken. Als er aus seiner Stellung schied, war die fabrikmäßige Herstellung von Dynamit aus dem Experimentierstadium heraus und das Opladener Werk weit über die Grenzen des Rheinlandes hinaus bekannt.

In den Opladener Jahren – das bleibt noch nachzutragen – lernte Emil Müller Emma Siebel aus Küppersteg, dem der Dynamitfabrik benachbarten Dorf (heute Leverkusen-Küppersteg) kennen und heiratete sie am 16. Juni 1874. »Die Trauung«, so schrieb der zuständige Pfarrer in Opladen ins Ehestandsregister, »wurde mit meiner Bewilligung von dem Vater des Bräutigams, Pfarrer Müller, vollzogen.« Aus der Ehe gingen laut Taufregister der evangelischen Gemeinde Opladen vier Kinder hervor: Emma (geb.16. April 1 875), Paul (geb. 22. Juli 1 876) ; der spätere führende deutsche Sprengstoffindustrielle), Fritz (geb. 12. Juni 1879) und Christian (geb. 14. Oktober 1882). Bei Emma, Paul und Fritz steht im Taufregister jedes Mal die Bemerkung: »Die Taufe wurde vom Großvater des Kindes väterlicherseits, Pastor Müller in Radevormwald, vollzogen.« Emil Müller wohnte mit seiner Familie anfangs »dahier auf der Bürriger Heide« bei Opladen in der Direktor-Dienstwohnung nicht weit von der Fabrik entfernt. Später, wahrscheinlich seit 1878, wohnte er und seine Familie in Küppersteg.

Als Emil Müller seine Stellung in Opladen aufgab, war er erst 34 Jahre alt. Er brauchte neue Aufgaben. Emil Müller gehörte zu der Generation von Fabrikherren, die nie ein eigenes Werk persönlich besaßen. Er ist daher allem Anschein nach dem Unternehmertyp zuzurechnen, von dem Schwerin-Krosigk sagt, dass er nicht an »seinem« Werk hänge, auch nicht besessen einer einzigen technischen Lösung nachjage, vielmehr in der wechselnden Kombination von Standortmöglichkeiten, technischen Errungenschaften und wirtschaftlichen Zeitumständen seine Befriedigung suche und finde. Ein Mann dieses Schlages sei in der Lage, sich »kalten Blutes von den Kindern seines Schöpfungstriebes zu trennen« und die Welt mit immer neuen Transaktionen zu überraschen.

Nachdem Emil Müller die Rheinische Dynamitfabrik aus den allerersten Anfängen heraus aufgebaut und sie allen Hindernissen zum Trotz lebensfähig gemacht und erhalten hatte, sah er sich nach einem anderen Betätigungsfeld um. Bezeichnend ist, dass er bei der Eheschließung (1874) als Beruf »Direktor einer Dynamitfabrik«, bei der Taufe seines vierten Kindes (1882) »Kaufmann« angab, und er 1887 offiziell als »Chemiker« verzeichnet steht. Den so in organisatorischen, kaufmännischen und wissenschaftlich-technischen Dingen erfahrenen Mann finden wir bald wieder bei angemessener Arbeit. Wiederum galt es, eine Sprengstoffgesellschaft – dieses Mal ein Unternehmen mit wesentlich weiter gesteckten Zielen – von Grund auf anzupacken, aufzubauen und zur Entfaltung zu bringen.

Am 11. Januar 1886 wurde die Rheinisch- Westfälische Sprengstoff AG, Köln, gegründet. Das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Co. stellte ein Aktienkapital von 3 000000 Mark bereit. Emil Müller übernahm das Amt des Generaldirektors. Er richtete das erste Büro der neuen Firma in Köln, Gereonsdriesch Nr. 16 ein. Er wohnte mit seiner Familie im Hause Hohenzollernring Nr. 25 in Köln.

Der in Troisdorf geborene Wilhelm Englaender, Justitiar beim Bankhaus Oppenheim, lenkte die Aufmerksamkeit des Finanzinstituts und des Unternehmers auf die günstigen Voraussetzungen für die Anlage einer Sprengstofffabrik in seiner Heimatgemeinde hin. Schon bei der Gründung der Opladener Fabrik hatte Emil Müller den billigen Sandboden des rechtsrheinischen Heidesandstreifens und die günstige Lage im Straßen-, Eisenbahn- und Binnenschifffahrtsnetz berücksichtigt. In Troisdorf boten sich wieder der billige Heidesand derselben geologischen Formation wie auf der Bürriger Heide bei Opladen und der günstige Anschluss an die beiden Haupteisenbahnlinien Köln (Ruhrgebiet) – Troisdorf- Frankfurt und Köln – Troisdorf – Siegen – Frankfurt an.

Schon ein Jahr nach der Gründung der RWS begannen die Grundstückskäufe in Troisdorf. Im ersten Immobiliarverkauf, der am 4. Juli 1887 vor dem Notar H. Schaefer in Bonn beurkundet wurde, traten der Bürgermeister von Siegburg und der stellvertretende Gemeindevorsteher von Troisdorf als Verkäufer und »Wilhelm Englaender, Justitiar beim Bankhaus Salomon Oppenheim jr. und Compagnie zu Köln, im Auftrage der Rheinisch- Westfälischen Sprengstoff AG der Herren Emil Müller, Chemiker, und Otto Huyssen, Prokurist des Bankhauses« als Käufer auf. In rascher Folge ließ Emil Müller »Grundstücke und sonstige in den Gemeinden Troisdorf, Sieglar und Umgegend gelegenen Immobilien« kaufen oder eintauschen. Englaender hatte Vollmacht, »überhaupt alles zu tun, was zu dem gegebenen Zwecke nötig und zweckdienlich erscheint«. Es ging zügig voran. Noch im selben Jahr ließ Emil Müller eine Zündhütchen- und Sprengkapselfabrik (1887), im folgenden Jahr eine Munitionsfabrik (1888) und eine Schießwolle- und Pulverfabrik (1888/89) errichten.

»Am 3. Februar 1890 wurde die erste Nitrierung in Gegenwart von Herrn Generaldirektor Emil Müller, Dr. SeyfFerth, Dr. Brunswig, Meister J. Schäfer und H. Laufenberg vorgenommen . . . Man darf ohne Übertreibung sagen, dass die Troisdorfer Nitrieranlage stets führend auf dem Gebiet der technischen Vervollkommnung der Nitrierapparatur gewesen und geblieben ist . . .« Was der Werkschronist B. van der Laan schrieb, stimmte mit der Fachliteratur (Guttmann) überein.

Wie sehr Emil Müller wieder mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen hatte, geht aus dem Geschäftsbericht seiner Firma für 1890 hervor: »Die Fabrikationsmaschinen, welche wir bezogen, bedurften alle erst der Fertigstellung in unserer Fabrik, das Arbeiterpersonal musste angelernt und eingeübt werden. So war fast das ganze erste Halbjahr erforderlich, um unsere Fabrik leistungsfähig zu machen. Unsere Pulverfabrik war fast ausschließlich mit Versuchen beschäftigt.« Erst Aufträge von der preußischen Militärverwaltung brachten die Produktion ins Rollen. Im Frühjahr 1893 wurde die erste Nitrierzentrifuge in Troisdorf in Betrieb genommen und im Jahre 1903 lieferten acht kleine Nitrierzentrifugen täglich etwa 1000 kg Schießwolle. Um Unregelmäßigkeiten im Schießwolle- und Pulvergeschäft aufzufangen und der Nitrozelluloseanlage eine gleichmäßige Beschäftigung zu sichern, ließ Emil Müller eine Celluloidfabrik bauen, die am 4. März 1905 mit zwei Zentrifugen die Produktion von Celluloid-Collodiumwolle aufnahm. Die Eröffnung der Celluloidfabrik – zunächst eine Notlösung – war ein großer Wurf, dessen Bedeutung erst heute, da Deutschland der Welt zweitgrößter Kunststoffproduzent geworden ist, ins richtige Licht rückt.

Emil Müller weilte oft in Troisdorf. Er kam, wie alte Werksangehörige noch wissen, mit der Eisenbahn von Köln und ließ sich vom Troisdorfer Bahnhof mit der Kutsche zur Fabrik fahren.

Um den Kern der RWS in Troisdorf gruppierte Emil Müller rasch weitere Fabriken. Es sind zu nennen die Sprengstoffabriken Foerde bei Siegen und in Rönsahl, die Munitionsfabrik Nürnberg (1889), die Zündhütchenfabrik Stadeln bei Fürth (1897) und die Fabrik elektrischer Zünder GmbH in Köln (1899) mit Filialen in Küppersteg und Troisdorf.

Dass Emil Müller wieder im Ganzen erfolgreich arbeitete, mögen einige wenige Beispiele beweisen. Vor dem ersten Weltkrieg war »Troisdorfer Pulver« in Deutschland und Europa ein fester Begriff. Japan bezog für seinen Krieg gegen China (1893/94) alle Patronen von der RWS. Ende 1899 wurde das Aktienkapital der Gesellschaft auf fünf Millionen Mark erhöht. Die Dividenden in der Zeit von 1894 bis 1901 schwankten zwischen 10% und 14%%. Die Beschäftigtenzahlen lagen bald weit über den in Opladen bekannten Zahlen: 1900: 500, 1905 : 750, 19 10: 900. Diese Zahlen erhalten ihr volles Gewicht erst, wenn man berücksichtigt, dass die chemische Industrie im Verhältnis zum Wert und zur Menge ihrer Erzeugnisse nur wenige Arbeitskräfte verlangt. Beim Bau des Simplontunnels in der Schweiz, des längsten Tunnels der Welt, benutzte man ausschließlich Sprengkapseln der RWS (1905). Bei großen Sprengversuchen in Isleten am Vierwaldstättersee unter Anwesenheit hoher Vertreter der Schweizer Eidgenossenschaft, des Militärs und der Schweizer Bundesbahnen diente als »Zündkapsel fast durchwegs die aus Troisdorf bezogene sogenannte Kapsel Nr. 8 . . .« Nach Troisdorfer Vorbild entstanden die Nitrieranlagen der staatlichen Pulverfabrik in Spandau. In Troisdorf hielten sich fast ständig militärische Abnahmekommissionen aus der Schweiz, aus Schweden, Dänemark, Rumänien, Serbien, der Türkei, Spanien, Chile und anderen Ländern auf. Hauptkunde war die deutsche Armee.

Die dritte Schaffensperiode im Leben Emil Müllers beginnt sich schon im Jahre 1890 abzuzeichnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich beharrlich geweigert, einem Kartell beizutreten. Dann aber konnte er sich dem Druck der bereits kartellierten Firmen nicht mehr entziehen und schloss sich Ende 1890 mit noch drei anderen Sprengstoffunternehmungen im sogenannten General-Syndikats-Vertrag den im General-Kartell vom 1. Juli 1889 verbundenen deutschen und ausländischen Pulver- und Dynamitgesellschaften an, ohne seine Eigenständigkeit ganz aufzugeben.

Die Firma schrieb dazu: »Es ist uns gelungen, einer Vereinigung der bedeutendsten Dynamitfabriken beizutreten, wodurch das große Risiko, welches namentlich das Exportgeschäft für uns hatte, als fast beseitigt angesehen werden kann und uns voraussichtlich eine gewisse Stetigkeit für längere Zeit gesichert ist . . .« Der Bericht von 1893 war weniger optimistisch: »Wir dürfen jedoch hoffen, dass dem inländischen Dynamitmarkt) durch gute und starke Exportaufträge großenteils wieder ausgeglichen wird . . .« Im Jahre 1900 zeigte sich, dass Emil Müllers Entschluss richtig gewesen war. »Wenn wir trotz der ungünstigen Verhältnisse und der Erhöhung unseres Aktienkapitals in der Lage sind, die Verteilung einer gleich großen Dividende wie im Vorjahr vorzuschlagen, so verdanken wir dies unserem Anschluss an das Kartell und der Ausdehnung der verschiedenartigen zu demselben gehörigen Betriebe . . .«

Emil Müller war von einem Gründer, der ein Unternehmen von Grund auf entstehen lässt, zu einem Organisator geworden, der den Wert großer Zusammenschlüsse erkannt hatte. Neben dem Kartell- Vertrag von 1890 ging er jetzt daran, bestehende Sprengstoffunternehmungen zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Um die Jahrhundertwende schloss Emil Müller die RWS in einem Anschlussvertrag an die Vereinigten Köln Rottweiler Pulverfabriken an und hatte damit engen Kontakt mit dem größten deutschen Pulververband gefunden, der 1890 aus dem Zusammenschluss der im Kartell verband (1885) verbundenen Pulverfabriken Rottweil-Hamburg und den Vereinigten Rheinisch- Westfälischen Pulverfabriken J. N. Heidemann, Köln, hervorgegangen war. Um dieselbe Zeit (1900) wurde Emil Müller, jetzt in Berlin, Mitglied des Vorstandes und auch Generaldirektor der Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken. Damit war er in eine der angesehensten Stellungen innerhalb der deutschen Sprengstoffindustrie aufgerückt.

Während seiner Berliner Jahre vertrat Emil Müller auch in Verbänden und Ausschüssen die Belange seiner Firma. Seit dem 1. Oktober 1901 gehört er dem Verband der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie an und betätigte sich als »ein kenntnisreicher, eifriger und warmherziger Mitarbeiter an den Aufgaben der Berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung«. Seit 1 901 war Emil Müller auch Mitglied des Gesamtausschusses des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands e.V. und vertrat die Interessen dieser Vereinigung im Bezirkseisenbahnrat in Berlin.

Am 10. Dezember 1910 starb Emil Müller im Alter von 66 Jahren in Berlin. In der Zeitschrift »Die chemische Industrie« stand folgende Todesanzeige : »Nach langem, schweren Leiden ist am 10. Dezember d. J. Herr Emil Müller, Generaldirektor der Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken, in Berlin gestorben. Mit nie rastendem Eifer hat der jetzt Dahingeschiedene seit den letzten zehn Jahren als Mitglied des Vorstandes seine Arbeitskraft in den Dienst des Unternehmens gestellt. Seit dem Jahre 1901 gehörte er dem Gesamtausschuss des Vereins zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands an; lange Jahre hindurch beteiligte er sich auch im Vorstand der berufsgenossenschaftlichen Verwaltungsarbeiten. Emil Müller gehörte zu den hervorragendsten Sachverständigen auf dem Gebiete der Sprengstoffindustrie und war stets bereit, mit seinem Rat behilflich zu sein, wo es galt, Neuerungen in der Industrie zum Besten der Betriebe und ihrer Arbeiter einzuführen. Ein ehrendes Andenken wird ihm im Kreise seiner Berufsgenossen bewahrt werden.«

Die Erinnerung an Emil Müller ist wach geblieben. Kurz nach seinem Tode errichtete ihm die Firma ein würdiges Denkmal in Troisdorf mitten in der Fabrik, die er in den besten Jahren seines Lebens aufgebaut hatte. Alte Werksangehörige erinnern sich noch an die schlichte Feier der Enthüllung der Bronzebüste. Aus Anlass dieses Gedenktages erhielten alle Beschäftigten der Firma ein Geldgeschenk von 5 Mark. Heute steht die Büste, die in den schweren Zerstörungen des letzten Krieges nicht zu Schaden gekommen ist, in der Empfangshalle des neuen Hauptverwaltungsgebäudes der Dynamit-Nobel AG in Troisdorf.

Am 8. September 1911 gründete Frau Witwe Emil Müller aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der RWS die »Emil-Müller-Stiftung«. Die Zinsen des Betrages von 25 000 Goldmark sollten zur Unterstützung armer und kranker Menschen beider Konfessionen ausgegeben werden. Um einen höheren Zinssatz zu erreichen, wurde der Fonds im ersten Weltkrieg als Kriegsanleihe gezeichnet und ging verloren.

Die Stadt Troisdorf, die dem großen Industriellen sehr viel zu verdanken hat, gab einer gepflegten Wohnstraße den Namen »Emil-Müller-Straße«.

Die beste Würdigung von Emil Müllers Lebenswerk aber schrieb die Geschichte selbst. Im Jahre 1931 ging die RWS in die Dynamit AG vorm. Alfred Nobel & Co., Hamburg, auf. In demselben Jahr verlegte die Gesellschaft ihre Hauptverwaltung von Hamburg nach Troisdorf und machte damit die größte Fabrik der Gesellschaft Emil Müllers zum Mittelpunkt der größeren Nachfolgefirma. Seit dem 31. Dezember 1959 lautet die offizielle Firmenbezeichnung Dynamit-Nobel AG, Troisdorf.

 

MÜLLER, ROLF. “EMIL MÜLLER 1844–1910, Gründer und Unternehmer in der deutschen Dynamitindustrie.” Tradition: Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie, Jg. 8, Nr. 2, 1963, S. 84–94. JSTOR, http://www.jstor.org/stable/40696808. Abgerufen am 11. April 2024.

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