Dieter Wellershoff (1925 – 2018)

Schriftsteller

Dieter Wellershoff (* 3. November 1925 in Neuss; † 15. Juni 2018 in Köln) war ein deutscher Schriftsteller. Sein vielseitiges Werk umfasst Romane, Erzählungen, Novellen, Hörspiele, Bühnenstücke, Drehbücher und Lyrik. Begleitet werden diese Arbeiten von zahlreichen Essays zu literarischen, kunst- und zeitgeschichtlichen Themen. Mit autobiographischen Werken hat er zeitgeschichtliche Dokumente geschaffen.

Stark geprägt durch die Erfahrung des zufälligen Sterbens und Überlebens als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg, stellte Wellershoff in seinen Schriften immer wieder scheinbare Gewissheiten in Frage. Als Sinn seines Schreibens sah er „die Erweiterung und Vertiefung der Wahrnehmung des Lebens.“ „Eine ‚Probebühne des Lebens‘ sollen seine fiktionalen Geschichten sein, ein literarischer Simulationsraum, in dem man sich riskante Karrieren quasi gefahrlos ansehen kann, ohne den oft tödlichen Preis der Protagonisten dafür zahlen zu müssen.“

Neben der Anerkennung, die Wellershoff als Schriftsteller erfahren hat, hat er sich den Ruf eines bedeutenden Literaturtheoretikers und Lektors im wissenschaftlichen und literarischen Bereich erworben.

Bis 1945

Dieter Wellershoff wurde 1925 als ältester Sohn von Walter und Cläre Wellershoff geboren. 1930 zog die Familie nach der Geburt seines Bruders Hans-Walter von Neuss nach Grevenbroich am Niederrhein, wo Dieter aufwuchs und 1932 eingeschult wurde. Sein Vater war in Neuss und Grevenbroich Kreisbaumeister. In seinen Erinnerungen Ein Allmachtstraum und sein Ende berichtet Wellershoff von einem geordneten Leben in einem Beamtenhaushalt, in dem die Mutter „für das Haus und das gesellschaftliche Leben zuständig“ war. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und meldete sich 1943 freiwillig zur Panzerdivision Hermann Göring. Kurz danach starb seine Mutter an einer Gallenoperation. Am 13. Oktober 1944 wurde er in Litauen schwer verwundet. Den Kriegswinter 1944/45 verbrachte er in der zu einem Lazarett umfunktionierten Heilingbrunnerschule in Bad Reichenhall. 1945 setzte er sich mit anderen Soldaten versprengter Truppenteile Richtung Westen ab, um nicht in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu kommen. Es gelang ihnen, in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft zu gehen. Seine Kriegserfahrungen verarbeitete er in dem autobiographischen Buch Der Ernstfall (1997) und in der Audio-CD Schau dir das an, das ist der Krieg. Dieter Wellershoff erzählt sein Leben als Soldat (2010).

Im Berliner Bundesarchiv fand sich 2009 eine auf seinen Namen erstellte Mitgliedskarte der NSDAP, die ihn unter der Mitgliedsnummer 10.172.531 führte. Ein zugehöriger unterschriebener Aufnahmeantrag fand sich nicht. Wellershoff sagte dazu: „… im Gegensatz zur Wehrmacht, die ich als Jugendlicher wie fast alle meine Altersgenossen in den ersten Kriegsjahren idealisierte, hatte ich immer eine an Verachtung grenzende Abneigung gegen die ‚braunen Bonzen‘ der Partei. … Während dieser ganzen Zeit wäre es für mich ein völlig abwegiger Gedanke gewesen, in die Partei einzutreten.“ Er betonte, nie einen Aufnahmeantrag gestellt zu haben.

1945 bis 1980

Nach Kriegsende holte er sein Abitur nach und studierte ab 1947 an der Universität Bonn Germanistik, Kunstgeschichte und Psychologie. 1952 heiratete er seine Studienkollegin Maria von Thadden. Ebenfalls 1952 veröffentlichte er seine sehr beachtete Dissertation über Gottfried Benn, dessen gesammelte Werke er ab 1958 zusammen mit seiner Frau Maria herausgab. Von 1952 bis 1955 arbeitete er als Redakteur bei der vom Verband Deutscher Studentenschaften herausgegebenen Deutschen Studentenzeitung und schrieb ein Theaterstück, mehrere Radio-Features und Hörspiele. Seine erste Literaturauszeichnung – den „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ – erhielt er für Minotaurus; das Stück hat die zu dieser Zeit noch verbotene Abtreibung (§ 218 StGB) zum Thema.

Im Jahr 1959 wurde Wellershoff vom Verlag Kiepenheuer & Witsch gebeten, ein wissenschaftliches Programm für den Verlag zu entwickeln. Es entstanden zwei Schriftenreihen, „die ‚Neue Wissenschaftliche Bibliothek‘ und die ‘Studienbibliothek’, eine in leuchtend gelben Einbänden, eine in leuchtend rot, durch die dann Generationen von Studenten der Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie, der Psychologie, der Geschichte, der Literaturwissenschaft und Philosophie Grundlagenwissen ihrer Fächer erhielten. […] Viele dieser ‘Reader’, insgesamt weit über 100, herausgegeben von Dieter Wellershoff in Zusammenarbeit mit bedeutenden Wissenschaftlern wie Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Alexander Mitscherlich oder René König, sind bis heute Standardwerke, durch die die Wissenschaften der jungen Bundesrepublik nach der Düsternis der Nazizeit wieder internationales Niveau erreichten,“ schrieb der Verleger Helge Malchow und fuhr fort: „Neben dieser Fulltime-Aktivität macht Dieter Wellershoff den Verlag in kürzester Zeit zu einer der ersten Adressen für neue deutsche Literatur, die K&W trotz des großen, aber singulären Heinrich Böll, dessen Bücher Dieter Wellershoff auch lektorierte, zuvor nicht gewesen war.“ Wellershoff holte junge Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann, Nicolas Born und Günter Wallraff in den Verlag.

Wellershoff nahm ab 1960 an Tagungen der Gruppe 47 teil. 1965 initiierte er einen „neuen Realismus“. Die daraus hervorgegangene lockere Gruppierung wurde unter dem Namen „Kölner Schule des Neuen Realismus“ bekannt. Mitte der 1960er Jahre reduzierte Wellershoff seine Verlagsarbeit und begann eigene Romane zu schreiben. Es entstanden z. B. Ein schöner Tag (1966, das Porträt einer Familie, zwischen Konflikten, fehlender Kommunikation und Scheinidylle), Einladung an alle (1972, die multi-perspektivische Schilderung einer Verbrecherjagd als Massenunterhaltung und einsamem Existenzkampf) und Die Sirene (1980, die Geschichte einer ungewöhnlichen Verführung oder Selbstverführung mittels einer geheimnisvollen Telefonstimme).

Wellershoff entwickelte parallel zu seinem literarischen Werk seine Literaturtheorie. „Man hatte hier nicht nur einen ungemein produktiven Autor vor sich, der Hörspiele, Drehbücher, Erzählungen und Romane schrieb, sondern auch einen ambitionierten Literaturwissenschaftler, der für einen Verlag nebenher Bücher lektorierte und sich regelmäßig mit Erörterungen zur Literaturgeschichte zu Wort meldete.“

Nach 1981

Seit 1981 lebte er als freier Schriftsteller in der Kölner Südstadt. Mit Der Sieger nimmt alles (1983) schrieb er auf Basis der Erfahrungen seines jüngeren Bruders, der Unternehmer geworden war, einen kritischen Wirtschaftsroman. Es geht darin um die fiktionale Figur „Ulrich Vogtmann, ein[en] Aufsteiger par excellence, geprägt durch den Zweiten Weltkrieg und den Umbruch der Werte in der Nachkriegszeit“, der fasziniert ist „vom Allmachtstraum des großen Erfolgs. Er nimmt das Leben als Herausforderung, vertraut auf seine Vitalität, seinen Scharfsinn, sein Glück. Rücksichtslos verfolgt er sein Ziel, treibt seine Umgebung in den Ruin und sich selbst in die totale Isolation.“Sein jüngerer Bruder starb wenige Jahre später an Leukämie. Wellershoff schildert dessen erschütterndes Sterben in dem autobiografischen Buch Blick auf einen fernen Berg (1991).

Immer wieder schrieb Wellershoff autobiographische Texte wie Die Arbeit des Lebens (1985) oder das schon erwähnte Buch Der Ernstfall (1995) zu seinen Kriegserfahrungen. Hinzu kommen Texte über Literatur wie Der Roman und die Erfahrbarkeit der Welt (1988) oder Das geordnete Chaos. Essays zur Literatur oder Der verstörte Eros. Zur Literatur des Begehrens (2001). Einen literaturtheoretischen Schwerpunkt setzte er mit einer Vorlesungsreihe an der Frankfurter Universität, die unter dem Titel Das Schimmern der Schlangenhaut. Existentielle und formale Aspekte des literarischen Textes. Frankfurter Poetik-Vorlesungen (1996) erschien.

Einen besonderen Erfolg bei der Kritik und beim Publikum erzielte er 2000 mit dem Bestseller-Roman Der Liebeswunsch, in dem es um das Beziehungsgeflecht von Freundschaft, Sehnsüchten, aber auch Kränkungen zweier gutbürgerlicher Paare geht, das durch den Liebeswunsch einer jungen Frau, die ihrem als falsch empfundenen Leben entkommen möchte, aus dem scheinbaren Gleichgewicht gerissen wird – mit fatalen Folgen. Das Buch wurde 2006 verfilmt.

Im Juni 2007 griff Wellershoff mit einem Beitrag in der FAZ in den Streit um die Kölner DITIB-Moschee ein und formulierte in teilweiser Abgrenzung von den kritischen Positionen Ralph Giordanos eigene Vorbehalte gegen den umstrittenen Moscheebau.

Hochbetagt schrieb Wellershoff weiter, einen Roman über einen Pfarrer, dem die Glaubensgewissheit abhandengekommen ist (Der Himmel ist kein Ort (2009)), oder er lud zu einem individuellen Blick auf die Kunst ein, wie in Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum (2013).

Er reflektierte in der Audio-CD Ans Ende kommen. Dieter Wellershoff erzählte über Altern und Sterben (2014) über das eigene Älterwerden, den eigenen Tod, und zeigte sich als jemand, der neugierig, bis zum Ende hin, das Leben beobachten, erforschen und verstehen will. Dieses Werk wurde „Hörbuch des Jahres 2014“; viele seiner anderen Werke vorher und das Gesamtwerk wurden ebenfalls ausgezeichnet. Sein Werk wurde in 15 Sprachen übersetzt.

 

Quelle Text teilweise: Seite „Dieter Wellershoff“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. Februar 2022, 19:46 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dieter_Wellershoff&oldid=220454254 (Abgerufen: 26. Februar 2022, 17:49 UTC)

 

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