Bankier
Carl Theodor Deichmann (1866–1931) war der Vater von Freya Deichmann, die am 29. März 1911 in Köln geboren wurde. Ihr Geburtshaus, in dem auch ihre beiden älteren Brüder Carl (geboren 1906) und Hans (geboren 1907) auf die Welt gekommen waren, lag in der Trankgasse 7a direkt gegenüber dem Dom: ein großes, von den Kindern als düster erinnertes Palais beschrieben, das 1868 im Stil des Historismus erbaut worden war. Hier lebten zwei Deichmann-Vettern, die in dritter Generation gemeinsam ein Bankhaus leiteten.
Auf der dem Dom zugewandten Seite wohnte Carl Theodor Deichmann mit seiner Frau Ada und den drei Kindern. 1913 entschloss man sich, das Wohnhaus mit der Neorenaissance-Fassade abzureißen, um ein zweckmäßiges Geschäftsgebäude zu errichten. Heute beherbergt der Bau zwar keine Bank mehr, ist aber immer noch unter dem Namen Deichmann-Haus in Köln bekannt. Die Familie Carl Theodors zog um an den Georgsplatz 16, in das Haus seiner Urgroßmutter, das elegant renoviert und mit den später versteigerten Luxusgegenständen reichhaltig ausgestattet wurde.
Es sollte bis zum Untergang des Bankhauses Ende 1931 das Familien Domizil bleiben, in dem Freya, trotz Krieg und Inflation, eine behütete und – glaubt man den Memoiren ihres Bruders Hans – fröhliche Kindheit verlebte.
Das Bankhaus Deichmann
Die Deichmanns waren eine der reichsten Familien Kölns. Sie gehörten zur kleinen protestantischen Minderheit der Stadt, die lange unbedeutend gewesen war. Von den rund 40 000 Menschen, die 1794 hier lebten, waren lediglich 400 Protestanten. Erst 1797 erhielten sie das volle Bürgerrecht in Köln, und damit begann der Aufstieg einiger evangelischer Familien, die sich im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts Ansehen, Macht und großen Reichtum erwarben. Viele von ihnen begannen als Handelshäuser und entwickelten sich zu Privatbanken.
Die Firma Stein etwa war an einer Gerberei beteiligt, handelte später mit Getreide und war zeitweise im Weinhandel tätig. Mitglieder der Familien Joest, Herstatt und vom Rath importierten Zucker und betrieben bald eigene Zuckerraffinerien. Das erwirtschaftete Geld wurde zunehmend im Kreditwesen eingesetzt und die genannten Familien etablierten sich in Köln als Bankiers neben dem bereits bestehenden Bankhaus Schaaffhausen. Freyas Urgroßvater, Wilhelm Ludwig Deichmann (1798–1876) aus Rodenberg am Deister, war dort 1818 als Lehrling eingetreten.
Seine Heirat mit Elisabeth Schaaffhausen (1811–1888), der Tochter des Hauses, genannt Lila, war für ihn ein wichtiger Karriereschritt. Er übernahm im selben Jahr, 1830, die Leitung der Bank und behielt sie, bis er 1858 zusammen mit Adolph vom Rath sein eigenes Bankhaus gründete. Deichmann & Co entwickelte sich zu einem der wichtigsten Finanziers der aufstrebenden Firma Krupp.
Betrugen die eigenen Mittel des Hauses Deichmann im Jahr der Gründung noch 500 000 Taler, so war man 1871 in der Lage, Krupp drei Millionen Taler zu leihen, eine enorme Summe. Deichmann, von Stein, Herstatt und Sal. Oppenheim jr. gehörten zu den Bankhäusern, die maßgeblich die rheinisch-westfälische Schwerindustrie finanzierten. Sie reihten sich ein in die Gruppe der familiengeführten Privatbanken im Deutschen Kaiserreich, die in der Frühphase der deutschen Industrialisierung eine führende, nahezu konkurrenzlose Rolle beim Aufbau wichtiger Industriebranchen spielten.
Als sich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts moderne Kapitalgesellschaften entwickelten, konnten die Privatbanken im Konkurrenzkampf gegen Großbanken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften jedoch immer weniger bestehen. Ihr Aktionsradius war durch das private Vermögen der Inhaber beschränkt, und dies reichte irgendwann nicht mehr aus, um den Geldbedarf industrieller Großbetriebe zu decken.
Aber die Privatbankiers verschwanden damit keineswegs ganz von der wirtschaftlichen Bühne. Sie saßen weiterhin in den Aufsichtsräten bedeutender deutscher Kapitalgesellschaften. Spitzenreiter im Untersuchungsjahr 1927 war Louis Hagen vom Bankhaus Oppenheim. Er hatte achtundfünfzig Aufsichtsratsmandate inne, während Carl Theodor Deichmann, Freyas Vater, sich mit immerhin sechsundzwanzig Mandaten im oberen Mittelfeld bewegte. Natürlich hatten sie die wirtschaftliche Kompetenz für diese Aufgabe, aber von mindestens ebenso großer Bedeutung waren die vielfältigen verwandtschaftlichen Verbindungen unter den Bankiers.
Die Deichmanns waren insbesondere mit den Familien Herstatt, von Stein und Schnitzler in einem engen Heiratsgeflecht verwoben. Von 1821 bis 1907 kam es zu elf direkten Eheschließungen zwischen den Familien. Hinzu kam eine Vielzahl von Verschwägerungen und entfernteren Verbindungen, die die familiäre Verflechtung nahezu undurchdringlich erscheinen lassen. Interessanterweise blieben die christlichen und die jüdischen Heiratskreise streng getrennt. Interkonfessionelle Vorbehalte scheint es indessen nicht gegeben zu haben.
Der Gründer des Bankhauses Deichmann, Wilhelm Ludwig, konnte als Protestant 1830 die katholische Lila Schaaffhausen heiraten und sich damit die Leitung des Schaaffhausen’schen Bankvereins sichern. Zwar war dies eine der ersten, aber bei weitem nicht die letzte Mischehe in dem genannten Kölner Heiratszirkel. Die vier Söhne des Paares wurden evangelisch, die sieben Töchter katholisch erzogen.
Georgsplatz 16
Hans Deichmann, das mittlere der drei Deichmann-Kinder, beschreibt in seinen Memoiren Szenen aus dem Leben am Georgsplatz 16. Nach dem Umbau des Deichmann-Hauses am Dom zu einem reinen Geschäftshaus lebte man seit 1913 am Georgsplatz in einem dreistöckigen «palastartigen Haus», das sich mit «wohlüberlegt bescheidener Vornehmheit» präsentierte und den vor ihm liegenden Altstadtplatz «unaufdringlich dominierte»
Im Erdgeschoss des Hauses lagen neben der Eingangshalle mit ihrer imponierenden Freitreppe auch das Esszimmer sowie ein Tanzsaal, «reich verziert mit Fresken und Spiegeln an Wänden und Decke, mit goldenen Stühlen und tiefen rosaseidenen Sofas». Im ersten Stock, in der Beletage, befanden sich die Wohnräume der Familie, während das zweite Stockwerk fast ausschließlich den Kindern vorbehalten war. Jedes der Kinder hatte ein eigenes Zimmer. Es war ein großes Spielzimmer eingerichtet worden, und auch die Kindermädchen hatten hier ihre Kammer.
Ein Kapitel seiner Erinnerungen widmete Hans Deichmann der Schilderung der großen Diners, die bis in die zwanziger Jahre im Hause Deichmann stattfanden. Die Kinder versteckten sich dann hinter einem großen Vorhang in der Halle und sahen die vornehmen Gäste zur Tafel schreiten. Diese war mit dem Wedgwood-Geschirr gedeckt, das die Initialen des Hausherrn trug: CTD für Carl Theodor Deichmann. Mit den goldenen Gabeln der Urgroßmutter speiste man das Dessert. Raffinierte Küche war natürlich «ebenso wichtig für den nie ausbleibenden Erfolg» wie die «absichtsvolle Tischordnung – hierarchisch, politisch und erotisch musste alles stimmen». Nicht umsonst sprach Hans Deichmann noch gut achtzig Jahre später von den «Empfängen bei Hof», wenn er diese Festessen beschrieb, und sah die «königliche Mutter», die ihre Rolle als eine wichtige Gastgeberin in Köln formvollendet ausfüllte. Hans selbst setzte diese Begriffe in Anführungszeichen, aber bei aller Ironie schwingt auch Stolz mit auf sein «erfolgreiches» Elternhaus.
Quelle Text: Ausschnitte aus dem Buch Freya von Moltke Ein Jahrhundertleben 1911–2010, von Frauke Geyken, erschienen im Verlag C.H. Beck, abgerufen unter https://www.ciando.com/img/books/extract/3406613845_lp.pdf abgerufen am 20.02.2025